Angst ist unglaublich mächtig. Sie tritt nicht als Monster auf – sondern schleicht sich leise ein: als Zweifel, Unsicherheit, Zurückhaltung. Sie dringt in unsere Gedanken, in unsere Geschichten, in unsere Beziehungen – bis wir vergessen, wer wir eigentlich sind. Angst schreit nicht – sie flüstert, bis wir ihr ganz glauben. Sie lähmt uns und lässt uns denken, wir seien gefangen. Dass Veränderung unmöglich ist. Dass der Horizont unerreichbar bleibt.
Gestern arbeitete ich mit einem sehr gutmütigen Mann. Seine sanfte Stimme und seine Schwierigkeiten, sich klar auszudrücken, verrieten sofort seine Unsicherheit. Ich erkannte mich in ihm wieder – in einer früheren Version von mir. Ich wusste genau, wie es sich anfühlt, wenn man sich selbst nicht mehr spürt. Wenn man sich klein macht, um sicher zu bleiben.
Ich glaubte früher, ich sei eben so. Dass ich einfach nicht zu den Starken gehöre. Selbst meine Mutter sagte oft: „Solange die Menschen, die sie liebt, bei ihr sind, geht es ihr gut.“ Aber war das wirklich alles, was das Leben für mich bereithielt?
Dieser Mann erinnerte mich an mein früheres Ich. Ich weiß, wie schmerzhaft es ist, sich mit seinen Ängsten zu identifizieren, bis man denkt, sie seien wahr. Bis man vergisst, dass sie nur eine Brille sind – nicht die Realität.
Er erzählte mir, wie ungerecht er behandelt worden war. Und erstaunlicherweise erzählte er mir genau meine Geschichte – wortwörtlich. Dasselbe war mir vor Jahren in einem Team passiert, das mich ausgeschlossen hatte. Ich kannte diesen Schmerz. Das Bedürfnis, darüber zu sprechen. Und dann noch tiefer hineinzugraben. Jemand muss dafür bezahlen, dachte ich damals.
Doch je mehr er sprach, desto kleiner wurde er. Und obwohl ich Mitgefühl empfand, spürte ich gleichzeitig, dass ich innerlich stärker war. Ohne es bewusst zu wollen, behandelte ich ihn plötzlich wie jemanden, der unter mir stand. Er versuchte, die Führung im Raum zu übernehmen – immerhin war er derjenige, der die Gruppe sonst leitete. Doch ich spürte: Er hatte seine Kraft abgegeben.
Das war ein Schlüsselmoment. Wir sehen die Welt nicht, wie sie ist – wir sehen sie, wie wir sind. Und die Welt antwortet entsprechend. Neville Goddard sagte: „Jeder ist du – nach außen gedrückt.“ Unsere äußere Realität spiegelt immer unser inneres Selbstbild.
Wenn du glaubst, dass man dich übersehen wird – wird man es tun.
Wenn du glaubst, dass du machtlos bist – wird dein Leben das widerspiegeln.
Wenn du glaubst, du bist der Liebe oder Fülle nicht würdig – wirst du in diesem Schatten leben.
Aber Angst ist keine Wahrheit. Sie ist eine Verzerrung. Ein Filter. Und unsere Wahrnehmung – das, worauf wir unsere Aufmerksamkeit richten – formt unsere Realität.
Sogar heute Morgen habe ich es wieder gespürt. Ich sah meinen Kontostand – und er war niedriger als erwartet. Sofort kam eine Welle von Angst. In meinem Kopf lief ein Film ab: Was wird jetzt? Wie viel muss ich arbeiten? Was, wenn es nicht reicht?
Doch wie Byron Katie sagt: „Kannst du absolut sicher sein, dass das wahr ist?“
In genau diesem Moment – hier und jetzt – hatte ich ein Dach über dem Kopf, etwas zu essen, Ruhe, Wärme. Und doch lebten meine Gedanken in einem beängstigenden Zukunftsszenario, das noch gar nicht eingetreten war. Genau das ist Angst – sie entreißt uns dem gegenwärtigen Moment und wirft uns in eine Illusion.
Ich sehe das auch oft bei den Kindern in der Kita. Sie spielen Rollen, probieren Identitäten aus. So stellen sie sich vor, wer sie werden wollen. Und irgendwo auf dem Weg ins Erwachsenenleben vergessen wir das. Wir vergessen, dass wir immer noch wählen dürfen. Dass wir unsere Geschichte jederzeit umschreiben können.
Wir glauben plötzlich, wir sind unsere Angst.
Wir glauben, wir sind unser Trauma.
Wir glauben, wir sind das, was man uns erzählt hat.
Aber das sind wir nicht. Wir sind die, die entscheiden. Immer.
Und wenn wir das vergessen, geben wir unsere Macht ab – an Menschen, Situationen, Zahlen auf dem Bildschirm.
Also frage dich:
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Wovor hast du Angst?
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Welche inneren Gespräche führst du immer wieder?
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Welche neue Version von dir wartet darauf, geboren zu werden?
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Wo spielst du noch das Opfer, obwohl du längst der Held deiner Geschichte sein könntest?
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Wo gibst du deine Kraft an andere ab?
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Wo lässt du deine Ängste das Ruder übernehmen?
Angst verschwindet nicht durch Kampf. Sie löst sich auf durch Bewusstsein.
Kehre zurück zu diesem ruhigen Ort in dir – der stille Punkt inmitten des Sturms. Er ist immer da, wartend. Und von dort aus kannst du dich neu entscheiden.