Es gab eine Zeit in meinem Leben, in der ich nichts über die Welt da draußen wusste. Ich war 30 Jahre alt, eine Frau ohne formale Bildung, ohne Status und ohne wirkliche Erfahrung im Umgang mit dem Leben außerhalb der Gesellschaft, in der ich aufgewachsen war. Meine Welt war klein und streng geregelt.
Als ich als junges Mädchen in die Schweiz kam, wurde ich der Küche zugewiesen. Ich konnte damals nicht kochen – aber ich lernte schnell. Manchmal kochten wir die ganze Nacht hindurch, und obwohl ich oft erschöpft war, wurde ich eine hervorragende Köchin. Ich reiste sogar nach Indien, um dort die Kochkunst zu erlernen. Ich hatte also viel geleistet. Aber auf dem Papier konnte ich nichts vorweisen – kein Diplom, keine offizielle Ausbildung.
Mein Sohn war damals etwa neun Jahre alt. Ich war seit 17 Jahren verheiratet. Ich betreute Kinder und verteilte Werbeflyer. Damals dachte ich, es gäbe keinen besseren Job für jemanden wie mich. Ich akzeptierte das, was das Leben mir anbot – so wie ich es gelernt hatte. Ich dachte, es sei normal, sich jeder Autorität unterzuordnen. Selbst als meine damalige Chefin mich schlecht behandelte, verteidigte ich mich nicht. Mein Mann tadelte mich oft, weil er nicht verstand, warum ich nicht für mich einstehen konnte. Aber es lag nicht an mangelndem Mut – es war reine Prägung. Ich hatte Gehorsam gelernt, nicht Selbstbestimmung.
Als mein Sohn zur Schule ging, kam ich mehr mit der Außenwelt in Kontakt. Langsam wuchs in mir der Wunsch nach Unabhängigkeit. Ich erinnere mich, wie ich eine Frau traf, die allein Pizza aß. Sie hatte sich gerade von ihrem Mann getrennt. Ich war fasziniert von ihrer Freiheit. Sie hatte eigenes Geld, eigene Zeit und genoss ganz einfach ein ruhiges Essen – für mich war das ein unvorstellbarer Luxus.
Doch der Schritt hinaus in die Welt war nicht leicht. Ich ging von einem Amt zum nächsten, bat um Unterstützung. Aber da ich keine Papiere hatte, wurde ich ständig weitergeschickt.
Eines Morgens, entmutigt, aber entschlossen, schlug ich die Zeitung auf und sah eine Stellenanzeige: eine Verkäuferin für das exklusivste Schokoladengeschäft in Zürich wurde gesucht.
Etwas in mir regte sich. Ich war nervös, aber ich rief an. Der Mann am Telefon hatte eine freundliche, fröhliche Stimme. Ich sagte ihm, dass ich mich auf die Stelle bewerben wollte. Er lachte und sagte: „Morgen ist der 9.9.99 – kommen Sie um 9:00 Uhr.“ Es fühlte sich wie ein Zeichen an.
Ich kam in einem langen Kleid mit geflochtenem Zopf. Er begrüßte mich herzlich und lud mich in sein Büro ein. Er fragte mich, ob ich schon einmal im Verkauf gearbeitet hätte. Ich verneinte und erzählte ihm, dass ich als junge Frau oft vor den Schaufenstern des Ladens gestanden hatte und dachte, ich wäre eine gute Kandidatin – ich kannte mich gut mit indischen Süßigkeiten aus und wollte wirklich arbeiten.
Er sah mich an und sagte: „Also, es ist offensichtlich, dass Sie nichts wissen – aber ich finde es mutig, dass Sie sich getraut haben, hierherzukommen. Ich bin nur noch ein Jahr für das Personal zuständig, und ich möchte Ihnen die Chance geben. Sie wirken ehrlich und liebenswürdig.“ Er fragte, ob ich irgendwelche Unterlagen hätte. Ich hatte nichts. Später mussten wir ein paar Papiere improvisieren – aber es klappte.
Er entschied sich, mich am Flughafen in den Transitbereich zu versetzen – dort hatte ich keinen direkten Vorgesetzten. Die weiblichen Filialleiterinnen waren manchmal streng und erwarteten Perfektion. Er sagte den Frauen dort, sie sollten mich einarbeiten.
Und das taten sie. Am Anfang dachten sie, ich käme von einem anderen Planeten – aber als sie mich und meine Geschichte kennenlernten, waren sie freundlich und unterstützend.
Dieser Job war der Anfang meiner Emanzipation. Ich begann, alles hinter mir zu lassen, was mir einst Sicherheit gegeben hatte – und was mich gleichzeitig zurückgehalten hatte. Ich trat in etwas völlig Neues ein.
Ich erinnere mich, wie meine Schwester einmal sagte: „Keine Entscheidung zu treffen, ist die einzige falsche Entscheidung.“
Und sie hatte recht.
Ja, es war beängstigend. Aber ich weiß heute: Hätte ich damals diesen Schritt nicht gewagt, wüsste ich nicht, wo ich heute wäre.
Und genau das ist der Punkt: Manchmal sind es die schweren Entscheidungen, die der Anfang eines neuen Lebens sind.
Auch harte Zeiten können sich als Segen erweisen – wenn wir den Mut haben, ins Ungewisse zu gehen.